Ist das noch Fotografie?
Ich gehe da frage nach, ob digitale Fotografie (insbesondere mit künstlicher Intelligenz) noch die Bedingungen der Fotografie entspricht. Ich behaupte, dass nur die analoge Schwarzweißfotografie Fotografie genannt werden kann.
Der Artikel dazu:
Die These
Dieser Beitrag ist sicherlich einer der wichtigsten, die ich in den letzten Jahren als Fotograf geschrieben habe. Wir müssen uns der Tatsache bewusst werden, dass sich die Fotografie seit dem Aufkommen digitaler Kameras verändert hat. Die These lautet: Seit wir Bilder mit digitalen Kameras aufnehmen können, können wir nicht mehr von „Fotografie“ im traditionellen Sinne sprechen. Diese Aussage mag zunächst provokant wirken, aber ich werde im Laufe des Artikels die Gründe dafür darlegen. Es ist wichtig, dass wir uns dieser Veränderung bewusst werden und uns damit auseinandersetzen, da sie Auswirkungen auf unsere Sichtweise und unser Verständnis von Fotografie haben wird. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, diese Diskussion zu führen und eine neue Perspektive auf das Bildermachen zu entwickeln.
Was ist Fotografie und wo hört die Fotografie auf?
Um es ganz einfach auszudrücken: Fotografie ist, wenn Photonen (also Lichtteilchen) direkt mit Hilfe einer Kamera (die ihren Ursprung in der Camera Obscura hat) ein Bild erzeugen, wenn also das Licht direkt die Materie (Silber oder andere Stoffe wie Eisenverbindungen in der Cyanotypie) beeinflusst und ein latentes oder sichtbares Bild erschafft. Deshalb ist strengegenommen nur die analoge Schwarzweißfotografie tatsächlich Fotografie.
Was passiert in der digitalen Bilderstellung und warum können wir sie nicht Fotografie nennen?
Tatsächlich ist es gar nicht so einfach zu benennen. Die digitale Bilderstellung ist ein Prozess, bei dem digitale Bilder mit Hilfe von Kameras und Computern erzeugt werden. Mit der Einführung von digitalen Kameras in den 2000er Jahren wurde sie immer beliebter. Auch die Spiegelreflexkameras, die praktisch identisch zu den analogen Kameras funktionierten, haben dazu beigetragen. Wir Fotografen sind eins zu eins umgestiegen und alles war fast gleich, nur viel schneller und ohne Filmentwicklung. Also eine Verbesserung, ein Fortschritt.
Und das geht nun schon 20 Jahre so. Aber wir merken, dass sich etwas ändert. Der erste Schritt war die Einführung der spiegellosen Kameras. Auch das ist, in meinen Augen, ein großer Fortschritt für Berufs- und Amateurfotografen. Alles wurde kleiner, schneller, leichter und einfacher. Die Kameras selbst unterscheiden sich kaum noch in Bezug auf Qualität. Man bekommt durchweg qualitativ hochwertige Bilder. Man lernt dann auch, dass das RAW-Format der Kameras eine Hilfe ist, das die Optimierung der Bilder ermöglicht. Und nach und nach integrieren sich in die Prozessoren der Kameras die automatischen Korrekturen verschiedenster Fehler (Objektivkorrekturen) und die Verbesserung der Bildqualität. Bereits an dieser Stelle merken wir, dass das Bild, das wir aufgenommen haben, also die Photonen, die wir mit dem Sensor in Elektronen umgewandelt haben, eine starke Veränderung und Interpretation durchlaufen haben. Tatsächlich ist es nicht das Bild, das die Photonen direkt erzeugt haben. Die Daten werden mit guten Absichten manipuliert. Und diese Manipulation endet nicht mit der Ausgabe der Bilddaten auf die Speicherkarte. Bildbearbeitung und immer weiter optimierte künstliche Intelligenz in der Software geben uns viele Möglichkeiten, unsere Traumbilder zu schaffen. Hier merken Sie aber auch schon, dass dies grenzwertig ist, wenn wir von Fotografie sprechen wollen.
Das soll nicht heißen, dass diese Art der digitalen Bilderzeugung schlecht ist oder negativ konnotiert sein muss oder weniger wert als die analoge Fotografie ist. Es soll lediglich gezeigt werden, dass Fotografie und Bilderstellung sich langsam, aber sicher deutlich voneinander getrennt haben.
Noch viel deutlicher ist es, wenn wir in die aktuelle Entwicklung und ein wenig in die Zukunft schauen. Ich sage nichts Neues, wenn ich behaupte, dass das Mobiltelefon viele Kameras ersetzt und noch viel mehr ersetzen wird. Warum? Ganz einfach, weil das Ergebnis, das ein solches Telefon auswirft, beeindruckend gut ist. Dies liegt aber nicht an der optischen Qualität oder an der Qualität des Sensors. Hier ist der Einfluss der Photonen schon sehr begrenzt. Die Bilder sehen gut aus, weil eine gut eingestellte Software die Bilder optimiert. Die Bilddaten haben tatsächlich nicht mehr so wahnsinnig viel mit der ursprünglichen Abbildung auf dem kleinen Sensor zu tun. Aber natürlich immer noch eine gewisse Ähnlichkeit. Noch drastischer wird es, wenn die künstliche Intelligenz ins Spiel kommt. Das ist inzwischen keine Zukunft mehr. Plattformen im Internet erzeugen durch Eingabe von Texten fotorealistische Bilder, im Moment manchmal mehr oder weniger gut, aber in der Zukunft mit Sicherheit von Fotografinnen kaum zu unterscheiden. Auch das sehe ich als eine positive Entwicklung, weil es vielen Gewerbetreibenden die Möglichkeit gibt, Werbefotos und Produktfotos ohne Einsatz von Fotografen und sehr preisgünstig zu erstellen. Auch Hobbykünstler können ihre Träume und Ideen per Knopfdruck in perfekte Bilder umwandeln und müssen sich nicht einmal eine Kamera kaufen. Aber auch die Verbindung von Kamera und künstlicher Intelligenz wird sich ausweiten. Auch hier will ich nicht schwarzmalen, sondern betonen, dass ich das auch als schöne Entwicklung und interessante Entwicklung sehe. Es liegt nahe, (und man sieht es auch schon zum Beispiel auf Plattformen wie TikTok), dass die Kamera in Zukunft (insbesondere die der Smartphones) dafür verwendet wird, um Daten zu erfassen, die dann von einer künstlichen Intelligenz erzeugtes Bild erstellen. Beispiel: Ich fotografiere mich und meine Freunde in einer Gruppe. Das Smartphone erkennt die Gesichter und erzeugt nun ein Bild von einer Gruppe von Rittern der Tafelrunde vor authentischem Hintergrund mit genau den Gesichtern die es gesehen hat. Die Gesichter sind auch künstlich erzeugt sehen aber den Originalgesichtern deutlich ähnlich, nur ein klein wenig verschönert wenn man das möchte. Das wird die Zukunft sein. Und an dieser Stelle möchte ich kurz innehalten und noch einmal sagen:
Das ist eine tolle Technik, aber es ist nicht Fotografie!
Wo können wir die Grenzlinie ziehen? Ich habe vorhin gesagt, dass ich der Meinung bin, dass ab dem Moment, in dem wir Bilder mit Digitalkameras erzeugen, bereits keine Fotografie mehr im Spiel ist. Natürlich sind alle diese Übergänge fließend, aber ich würde den Übergang noch ein Stückchen davor ansetzen. Ich bin der Meinung, dass die analoge Farbfilm-Fotografie schon der erste Schritt weg von der Fotografie war. Warum? In der analogen Farbfotografie wird zwar das Bild über Silberkristalle durch Photonen erzeugt, aber der Hersteller manipuliert das Ergebnis durch die eingesetzten Filter zur Separation der Lichtfarben für die Farbschichten des Films. Bei der Entwicklung wird dann das Silber entfernt und durch künstliche Farbstoffe ersetzt. Auch hier haben wir eine Veränderung des Bildes über die Chemie durch die Wahl der Farbe des Herstellers. Natürlich ist das noch analoge Fotografie und man kann es mit Sicherheit noch Fotografie nennen, aber wir befinden uns bereits hier in der Übergangszone.
Warum haben wir einen so starken Retro Trend in der Fotografie?
Wir sehen im Moment in der Fotografie einen starken Trend: Die analoge Fotografie begeistert junge und alte Menschen gleichermaßen. Wer nicht direkt auf analogen Film fotografiert, bedient sich verschiedenster Software, um seine digitalen Bilder in einen analogen Look zu hüllen. Auch hier gibt es eigentlich nichts einzuwenden, aber es deutet sehr stark darauf hin, dass wir eine starke Sehnsucht nach echter Fotografie haben. Unbewusst merken wir also, dass sich etwas geändert hat, was wir so noch nicht fassen können. Und manch einer möchte dies scheinbar verloren gegangene festhalten.
Der Ursprung der Fotografie und die Faszination
Die Faszination der Fotografie begann mit dem Spiegelbild. Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem altertümlichen Silberspiegel (die ersten Spiegel waren versilberte Glasflächen). Stellen Sie sich nun vor, Sie schauen in den Spiegel und sehen Ihr Spiegelbild, also ein spiegelverkehrtes Bild Ihrer selbst. Nun gehen Sie von dem Spiegel weg und unerwartet bleibt Ihr Spiegelbild im Spiegel stehen, es ist im Spiegel gefangen, fixiert. Dies ist Stoff für Horrorgeschichten oder Märchen. Tatsächlich faszinierend, aber solche Gedanken gibt es schon seit sehr langer Zeit. Und zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde hart daran gearbeitet, diese Spiegelbilder festzuhalten. Und ohne jetzt lange in die Geschichte abzudriften, die Daguerrotypie war genau das: Das Bildnis auf einer spiegelnden, ovalen Fläche als Spiegelbild für immer festzuhalten. Die Photonen wurden auf der Spiegelfläche in Silber umgewandelt und so entstand das Silberbild. Später dann das gleiche auf Glasplatten (die Ambrotypie). Möglich wurde dies durch den Einsatz der Camera Obscura und der chemischen Erfindung der jodierten Silbersalze.
Kunst und Fotografie im 19.Jahrhundert
Zu Beginn der Fotografie gab es den Begriff Fotografie noch nicht, und Fotografen waren Maler. Einige nutzten die Fotografie, um Vorlagen für ihre Malerei zu bekommen, während andere erkannten, dass man Porträts viel schneller und kostengünstiger mit der Fotografie erstellen kann als mit der Malerei. In diesem Moment kam es dann auch zu Konflikten: Ernsthafte Maler nannten die Abbildungen mit Kamera „die Kunst der unbegabten Künstler“ weil es scheinbar so leicht war ein Portrait zu erstellen. Künstler, die fotografierten, verteidigten sich und der Konflikt verblasste erst, als man einen Namen fand, nämlich „Fotografie“. Damit war ein eigenes Genre definiert und die Aufgaben waren klar verteilt. Künstler mussten nun nicht mehr mit viel Aufwand fotorealistische Porträts malen und konnten sich ihrer Kunst widmen, was dann zum Beispiel auch zum Surrealismus führte.
Wir brauchen genau diese Trennung jetzt auch!
Fotografen und Bildersteller, die zum Beispiel mit künstlicher Intelligenz und digitalen Kameras arbeiten, beschuldigen sich manchmal gegenseitig, die Kreativität der Fotografie zu zerstören und Ideen zu klauen. Man schmäht die von künstlicher Intelligenz erzeugten Bilder, indem man ihnen ihren Wert abspricht und die Ersteller als Dilettanten abtut. Dies ist jedoch tatsächlich ungerechtfertigt. Wenn wir die Bilderstellung klar von der Fotografie trennen, werden die Fronten geklärt und jeder kann in Ruhe weiterarbeiten. Vielleicht sollten wir die digitale Bilderstellung als Elektrographie und später, wenn Bilder online mithilfe von Quantencomputern und mit künstlicher Intelligenz erstellt werden als Quantographie bezeichnen.
© Rüdiger Schestag